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Macht Macht korrupt. Ein alpenrepublikanisches Phänomen?

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 19.05.2022, 07:41 Uhr
Fachartikel: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 16007x gelesen

Salzburg [ENA] Für Friedrich Nietzsche "ist der Wille zur Macht das, was im Menschen am besten entwickelt ist." Demnach dürfte es für viele Menschen faszinierend sein, Macht zu erstreben oder auszuüben, wobei die Allerwenigsten mit dieser Bürde verantwortungsvoll umzugehen imstande sind. So erscheint es nicht verwunderlich, wenn Menschen, die vor allem nach Macht streben, überheblich, charakterlos und schließlich korrupt werden.

Zur Erinnerung: Franz Olah, der frühere Innenminister der SPÖ, wurde 1969 zu einem Jahr schweren Kerkers verurteilt – das Delikt: widmungswidrige Verwendung von Gewerkschaftsbeiträgen. Bruno Kreisky bestrafte man mit einem Bußgeld, weil er Simon Wiesenthal einen „Nazi-Kollaborateur“ genannt hatte. Finanzminister Hannes Androsch wurde wegen falscher Zeugenaussage und Steuerhinterziehung immerhin zweimal schuldig gesprochen. Im Gedächtnis sind auch noch die rechtmäßigen Urteile gegen Bundeskanzler Fred Sinowatz in der „Waldheim-Affäre“, den früheren Außenminister Leopold Gratz im Lucona-Prozess und gegen Ex-Innenminister Karl Blecha („Noricum“-Waffengeschäfte).

John Gudenus verurteilte man 2006 wegen NS-Wiederbetätigung, Susanne Winter wegen Herabwürdigung religiöser Lehren und Verhetzung (2009). Peter Westenthaler (FPÖ/BZÖ) musste sogar mehrere Schuldsprüche hinnehmen. Im Zuge des Hypo-Alpen-Adria-Desasters kollaborierte der Kärntner ÖVP-Mandatar Josef Martinz mit dem damaligen LH Haider – die Schmiergeldzahlungen an den Steuerberater Dietrich Birnbacher waren zu offensichtlich. Die Folge: eine jahrelange Haftstrafe für Martinz. Das Schicksal von Haider ist bekannt. Der Slogan „Part of the Game“ ist untrennbar mit dem Ex-FPK-Chef Uwe Scheuch verbunden, der wegen Bestechlichkeit verurteilt wurde (2012).

Zwei Jahre später verhängte das Gericht gegen die Kärntner Politprominenz, LH Gerhard Dörfler, Harald Dobernig und Stefan Petzner wiederum rechtskräftige Strafen. Nicht gerade scharfsinnig benahm sich der frühere Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) im Europäischen Parlament gegenüber zwei getarnten Journalisten: Er versprach gegen Cash die EU-Gesetzgebung zu beeinflussen – und erhielt für dieses Delikt drei Jahre Haft. Ja – und der „BUWOG-Prozess“ ist, ob seiner Aktualität und langen Dauer, noch in aller Munde:

In der ersten Instanz setzte es bekanntlich langjährige Strafen für die Hauptangeklagten. Auch gegenwärtig scheint unser politisches System korrupt zu sein. Die Ehrgeizigen und Ruhmsüchtigen, die eine Karriereleiter nach oben klettern und sämtliche Mitbewerber von derselben stoßen, zeigen ihren wahren Charakter vielleicht wirklich genau dann, wenn man ihnen Macht und Einfluss zukommen lässt – die bekannt gewordenen Chatprotokolle bieten diesbezüglich ein Bild des Grauens.

Loyalität, Lobbying oder Leistung – krankt es am System? Bezeichnend erscheint die Tatsache, dass wohl die meisten Machtpositionen in Politik und staatsnahen Betrieben selbst durch Lobbying oder diskrete Netzwerke, also klassische „Freunderlwirtschaft“ (Partei, Bünde, Kammern, Verbindungen…) und nicht durch den objektiven Nachweis einer herausragenden Qualifikation oder besonderer Fähigkeiten zustande kommen. Wer welche Karriereleiter emporklettert bzw. Ämter durchläuft, entscheidet sich schon sehr früh, wobei blinde Ergebenheit, Einordnung in die Parteihierarchie (Linientreue) und Opportunismus gewöhnlich mehr zählen als Qualifikation, Kompetenz und Integrität!

Gerade in öffentlichen oder „halbstaatlichen“ Unternehmen scheint die fehlende Kontrolle über die Effizienz der verwendeten Mittel ein großes Problem zu sein: Die Vergabe von Aufträgen, die Bewilligung von Förderungen, aber auch die Sinnhaftigkeit von Projekten werden in den zuständigen Institutionen und Behörden kaum überprüft. Und wenn der Rechnungshof die Finanzgebarung einer öffentlichen Einrichtung ordentlich zerpflückt, hat das in der Regel kaum Konsequenzen. Nach Jahren sind die Erinnerungslücken der Entscheidungsträger offenkundig.

Generell können wichtige Mitarbeiter von staatlichen oder staatsnahen Betrieben durch das „Anfüttern“, also durch kleinere Geldgeschenke und andere „Aufmerksamkeiten“ (Aussicht auf Karriere), auf ihre Anfälligkeit getestet werden. Vertraute Geschäftspartner werden zu Besuchen in Edelrestaurants und Bordellen, zu Segeltörns, Jagdausflügen und dergleichen eingeladen bzw. dort bei Laune gehalten: So ganz nebenbei erfährt man dann detaillierte Dienstgeheimnisse; man bespricht große Ausschreibungen der Öffentlichen Hand, man versucht lästige Steuerangelegenheiten verschwinden zu lassen oder man „bastelt“ an einem neuen Job. „Unter Freunden“ redet es sich bekanntlich leichter…

Dass die etablierten Parteien der Sucht nach Macht, Einfluss und Geltung faktisch erlegen sind und an einer nachhaltigen Entwicklung des Landes oftmals ein sonderbar geringes Interesse haben, lässt den Bürger stutzig und wütend werden. Der manische Blick auf den Futtertrog bzw. den unbedingten Machterhalt scheint manche Politiker egozentrisch und verantwortungslos gemacht zu haben. Zudem gewinnt man den Eindruck, dass viele Medien (vor allem die Boulevardpresse) durch großzügige Förderungen und freizügige Werbeeinschaltungen mundtot bzw. gefügig gemacht werden.

Das Rechtsempfinden vieler Bürger ist angesichts der erlebten Affären und aufgedeckten Skandalen zusehends erodiert. Während ein Teil der Bevölkerung – weil immer noch gut versorgt – eher vergesslich oder leicht zu täuschen ist, wünschen sich manche insgeheim den starken Mann als politische Führergestalt und Saubermann, nicht begreifend, dass es einen humanistisch gesinnten und den Rechtsstaat akzeptierenden Despoten noch nie gegeben hat. Dass die große Mehrheit der Bevölkerung auf glaubwürdige und überzeugende Persönlichkeiten wartet, die in ihrer Arbeit als Volksvertreter durch eine natürliche Autorität, Ehrlichkeit, Sachverstand und Moral beeindrucken, ist für die Demokratie grundsätzlich erfreulich. Nur – warten wir umsonst?

Graue Theorie …und ganz ohne Ironie: Nach Max Weber („Politik als Beruf“, 1919) zeichnet sich ein Politiker durch „sachliche Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und ein distanziertes Augenmaß“ aus. Eitelkeit hingegen lässt nach Weber den Politiker unsachlich und verantwortungslos werden. 1. „Leidenschaft in der Sache“ setzt neben der Begeisterung etwas gestalten zu wollen auch die notwendige Kompetenz, ein Fachwissen voraus, komplexe Wirkungsmechanismen in der Wirtschaft, der Bildung, im Umweltschutz, im Gesundheitsbereich etc. zu begreifen.

2. Das Verantwortungsgefühl diskutiert Weber unter zwei ethischen Prinzipien: Während die „Gesinnungsethik“ die Handlungen nach der Absicht und der Realisierung eigener Werte und Grundsätzen beurteilt, rückt die „Verantwortungsethik“ bei Handlungsalternativen oder normativen Beurteilungen die tatsächlichen Ergebnisse und deren Verantwortung gegenüber Dritten (respektive dem Volk) in den Vordergrund. 3. Das „distanzierte Augenmaß“ eines fähigen Politikers verhindert die tägliche Gier nach Selbstinszenierung und das permanente mediale Zelebrieren der eigenen (vermeintlichen) Wichtigkeit. Stattdessen fördert es die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Aufrichtigkeit, sich jederzeit gegenüber kommenden Generationen rechtfertigen zu können.

Und die Praxis? Nach 100 Jahren ist die Frage wohl nur mehr eine rhetorische: Kann man bei den auf der politischen Bühne agierenden Personen diese Qualitäten und Charaktereigenschaften, im Besonderen Pflichtgefühl und Verantwortungsgefühl gegenüber den Bürgern und den zukünftigen Generationen, noch im Ansatz beobachten und erkennen? Wenn Niccolò Machiavelli vor über 500 Jahren meint, dass „Politik die Summe der Mittel ist, die nötig sind, um zur Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen“, dann ist zu hinterfragen, was unter dem Begriff „Nutzen“ zu verstehen ist:

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